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Rammerstorfer: „Würde Islamisten nicht in den Tod abschieben. Eine Resozialisierung ist möglich.“5 Min. Lesedauer

9. November 2020 4 Min. Lesedauer

Rammerstorfer: „Würde Islamisten nicht in den Tod abschieben. Eine Resozialisierung ist möglich.“5 Min. Lesedauer

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Nach dem Attentat in Wien wird von vielen Seiten das Verhältnis von Linken und Islamismus kritisiert. Der Grüne Welser Spitzenkandidat Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich seit langem mit diversen Strömungen im Islam – sieht auch die konservativ-islamischen und besonders die nationalistisch-islamischen Gruppen kritisch. Einen Islamisten würde er trotzdem nicht abschieben, wenn ihn der sichere Tod in seinem Heimatland erwartet.

Herr Rammerstorfer, hat die Linke den Islam zu viel aus dem Blickwinkel der Opferrolle gesehen?

Sowohl bei der „Linken“ wie auch beim „Islam“ gibt es eine unglaubliche Vielfalt von Strömungen, Richtungen und Spaltungen, so dass es schwer ist, hier etwas allgemein zu sagen. Für Österreich würde ich mal sagen, dass man sich generell sehr wenig um Integration geschert hat, das Thema „Islam“ kam – breitenwirksam – frühestens nach 9/11 auf die Tagesordnung, egal bei welcher politischen Richtung. Zuvor gab es innerhalb der Linken zwei kleinere Richtungen, die sich damit auseinandersetzten. Zum einen die „Palästina-Solidarischen“, meist aus dem dogmatischen Flügel, die die Muslime tatsächlich nur als arme Opfer des US-Imperialismus sahen und bis heute sehen. Zum anderen die „Israel-Solidarischen“, die sich schon seit den 1970ern sehr kritisch mit fundamentalistischen Strömungen im Islam auseinandersetzten.

Eine spezielle Rolle spielte die Sowjetunion. Zum einen unterstützte sie die „arabische Welt“ gegen Israel. Zum anderen hat man mit der Invasion in Afghanistan den Boden für den „modernen“ Djihadismus bereitet.

Die Rolle der Sozialdemokratie war und ist von wahltaktischen Überlegungen geprägt. Nach wie vor gibt es da ein unkritisches Verhältnis zu einigen bedenklichen Strömungen.

Zum Thema „Graue Wölfe“ noch: Da gibt es seitens vieler Linker seit den 1970ern eine kritische Auseinandersetzung. Da haben rechts-konservative und rechtsextreme Gruppen noch sehr eng mit denen zusammengearbeitet.

Muss sich unsere Gesellschaft inkl. der linken Szene wieder von Religionen emanzipieren und diesen Grenzen aufweisen, ohne sofort den Vorwurf von Rassismus oder fehlender Toleranz zu bekommen?

Wenn jemand Opfer von Rassismus und Intoleranz ist, stehe ich an seiner Seite. Wenn er selber rassistisch oder intolerant agiert, ist er mein Gegner. Ich sehe das recht einfach. Ich kenne viele Menschen, die haben in der einen Sache eine tolle Einstellung, in der anderen nicht.

Grundsätzlich unterstützen die Grünen und soviel ich weiß alle anderen Parteien von mitte-links bis links-aussen z. B. die Forderung nach einem Ethikunterricht statt dem Religionsunterricht (oder ergänzend zu diesem). Aber da sperren sich die Rechten.

Zum Thema „Grenzen aufweisen“ noch: Dem IS wurden die Grenzen von dezidiert linken, meist kurdischen Milizen aufgewiesen. Übrigens zu einem nicht unerheblichen Teil auch Menschen muslimischen Glaubens.

Muss man sich eingestehen, dass Islamismus und Islam doch mehr zusammenhängen als einem lieb ist. Auch wenn Terroranschläge natürlich nicht von der Mehrheit der Muslime begangen werden. Die muslimische Community tendiert – selbstverständlich mit Ausnahmen wie den Aleviten (die sich ja teils selbst nicht mehr als Muslime bezeichnen) – dazu, unsere westlichen Demokratien und Freiheiten abzulehnen bzw. sehr kritisch zu sehen.

Vorweg, sehr vereinfacht sehe ich zwei problematische Strömungen im Islam: die konservativen bis rechtsextremen Gruppen, die den Islam häufig mit Nationalismus vermischen, die sind z. B. im Spektrum der Türkei-stämmigen Menschen verbreitet.

Zum anderen die Salafisten, die auch nicht alle Djihadisten sind, aber das ist das Milieu, aus dem sich der Terrorismus speist.

Die Ablehnung der westlichen Demokratie (oder Teilen davon) ist ihnen gemein, aber nicht deren Alleinstellungsmerkmal. Wir erleben eine generelle Krise der Demokratie, einen Vertrauensverlust vieler Teile der Bevölkerung in diese und die Sehnsucht nach dem vermeintlich „starken Mann“. Putin, Bolsonaro, Duterte, Orban, Trump und Co. sind keine Muslime.

Was man im Bezug zum Verhältnis „Islam-Westen“ noch anmerken kann: Warum gibt es viele Djihadisten aus Afghanistan, aus Tschetschenien, aus Bosnien? Das hängt auch damit zusammen, dass nicht-muslimische Länder dort unvorstellbare Verbrechen an der muslimischen Bevölkerung verübt haben…

Wäre es richtig, wenn wir uns zumindest alle auf den Konsens einigen, dass Terroristen bzw. IS-Kämpfer die Staatsbürgerschaft verlieren?

Ich finde die Debatte etwas unsinnig. Man kann ja niemanden abschieben, weil er staatenlos ist, wohin denn auch? Zum anderen ist es eine Illusion zu glauben, dass jemand, der ein terroristisches Netzwerk im Rücken hat, nicht relativ leicht auch wieder illegal ins Land kommen kann, z. B. vom Balkan. Grundsätzlich sollten und müssen wir das Problem auch global betrachten.

Wenn man zum Beispiel zur Fremdenlegion geht, verliert man die Staatsbürgerschaft. Das könnte man ja auf Terrororganisationen wie den IS ausweiten. Man könnte einem IS-Kämpfer die Staatsbürgerschaft entziehen und ihm die Einreise verwehren. Ob er dann illegal einreist ist hier einmal nebensächlich, es passieren ja auch Morde obwohl sie verboten sind. 

Ein komplexes Thema. Der IS nennt sich zwar Staat, ist aber keiner, dementsprechend greift hier kein Gesetz (praktiziert wurde dies ohnehin kaum). Und der Verlust einer Staatsbürgerschaft ist auch nicht gleichbedeutend mit dem Verlust einer Aufenthaltsgenehmigung. Österreichische TerroristInnen sind unser Problem, da können wir uns nicht einfach aus der Verantwortung ziehen, das ist auch völkerrechtlich unmöglich. Momentan haben wir das Glück, das die meisten „unserer“ TerroristInnen in Gefängnissen der SDF in Syrien/Rojava sitzen. Ausserdem: Ich glaube durchaus an die Möglichkeit einer Resozialisierung, beonders bei sehr jungen Menschen. In vielen Fällen ist das auch gelungen, über die liest man halt nichts in der Zeitung.

Wäre es richtig, wenn wir uns auf den Konsens einigen, dass Islamisten ein Recht auf Asyl verlieren, auch wenn sie vom Leben bedroht sind?

Es war lange Zeit gängige Praxis, dass das Verhalten und die Ansichten eines Asylwerbenden im Asylverfahren ein Rolle spielten. Das hat sich unter schwarz-blau leider geändert. Da wurden gerade „besonders gut integrierte“ Menschen abgeschoben, teils mit Begründungen a la „der ist so klug und fleißig, der findet sich eh überall zurecht“.

Ansonsten: nein, ich würde niemanden in den Tod abschieben, das ist auch nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht möglich.

Wenn einem Islamisten in seinem Heimatland nicht der sichere Tod erwartet, wären Sie dann für eine Abschiebung?

In gewissen Fällen sicher. Müsste man aber genauer definieren wer „Islamist“ ist.

Wie würde man Ihrer Meinung nach einen Islamisten definieren? Jemand der in sozialen Medien zum Krieg gegen den Westen aufruft zum Beispiel? 

Das wäre nach § 238 StgB Verhetzung und somit strafbar, wenn auch sonstige Parameter stimmen (zum „Krieg gegen den Westen“ rufen ja mitunter auch andere auf), ja.